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Es waren nun schon mehr als vier Monate, seitdem Raphael sein Elternhaus verlassen und somit auch seiner Familie den Rücken gekehrt hatte. Anfangs noch voller Wut, wich dieses Gefühl irgendwann einem weitaus besseren - Glück. Endlich war er frei. Er hatte sich von seinen Eltern losgesagt und konnte nun sein Ziel ganz nach seinem Belieben folgen. Der Tod Majas lag ihm immer noch schwer im Magen, doch hätte sie nicht gewollt, dass er tagelang Trübsal bläst und seine Zeit somit verschwendet. Sie hätte vom ihm verlangt, sich an das Erfüllen seines Traumes zu setzen. Doch dies war leichter gesagt als getan. Schließlich hatte er mit dem Aufbruch bei seinen Eltern zeitgleich sein Medizin-Studium an den Nagel gehängt und hatte wahrscheinlich auch eher schlechte Aussichten darauf, es einfach so weiterzuführen. Wo sollte er das Geld hernehmen ? Er hatte noch etwas Geld, welches her vorher abgehoben hatte, doch es würde auch nicht ewig reichen.
All diese Sorgen schwebten ihm den ganzen Tag im Kopf herum, so wie auch heute. Es war ein recht gewöhnlicher Tag. Eine Nacht mit unruhigem Schlaf, ein warmer Tee zum Frühstück und viele mies gelaunte Menschen in der U-Bahn. Wenn man sich hier nach einer Frohnatur umblickte, würde man wohl eher erfolglos sein. Menschen mit Aktentaschen und Anzügen, Menschen mit müdem Gesichtsausdruck und Menschen, die ihre Kopfhörer tief in die Ohren gesteckt hatten und zumindest für einen Moment abschalten wollten. Zu letzterer Art gehörte auch Raphael. Er hatte, wie so oft, seine Kopfhörer voll aufgedreht und hörte gerade einen seiner Liebblingssongs von seiner Lieblingsband "Looking for Winged People". Dazu tippte er rhythmisch mit seinem Zeigefinger auf sein Knie. Seinen Kopf hatte er in den Nacken gelegt und die weiße Mütze bis ins Gesicht gezogen, die Augen waren geschlossen. Er lauschte nur der Musik und spürte das regelmäßige Rattern des Wagons über die Schienen der U-Bahn. So konnte er abschalten und zumindest für ein paar Minuten dem Alltagstrubel der Großstadt entkommen. Ihm war das ganze Gewusel und Gedrängel nichts.. doch fand er hier wohl am besten einen Weg um sein Ziel zu verfolgen. In einer ruhigen Kleinstadt hätte er es wahrscheinlich deutlich schwerer. Ein nötiger Kompromiss, den er wohl oder übel eingehen musste.
Als das Rattern des Wagons langsamer wurde und er neben sich eine Bewegung vernahm, öffnete er die Augen und zog die Mütze aus dem Gesicht. Er hatte seine Endstation erreicht. Er stand auf, wartete bis der Rest der Passagiere ausgestiegen war und schritt dann nach draußen. Er stand nun auf einem recht dreckigen Steig, welcher durch eine Treppe auf einen größeren Platz führte. Die Leute eilten zügig die Stufen hinauf oder stellten sich an das andere Gleis, um gleich weiter zu fahren. Alles hier war so hektisch. Mit einem leichten Seufzen zog Raphael den Reißverschluss seiner Jacke bis zum Anschlag zu und richtete die Mütze. Es war ein recht kühler Tag gewesen. Der Himmel war mit grauen Wolken bedeckt und es fegte ein kalter Wind durch die Straßen. Viele Leute fluchten und suchten schnell das Warme, doch ihn störte es nicht wirklich. Man müsse sich nur passend kleiden. Als gerade ein neuerer Song von "Looking for Winged People" anlief, nahm auch Raphael seinen Weg wieder auf und schritt die Stufen zum Platz hinauf. Er würde ein paar Dinge erledigen und dann mal ein paar Stellen abklappern. Vielleicht hatte er ja Glück und fand heute eine Anstellung, in der er von seinen medizinischen Kenntnissen Gebrauch machen konnte.